LG Lübeck, Urt. v. 25.07.2024, Az. 14 S 26/23
Das LG Lübeck (14. Zivilkammer) hat am 25.07.2024 entschieden, dass der Anscheinsbeweis nicht gilt, wenn sich nicht aufklären lässt, welches Fahrzeug zuerst in den Kreisverkehr eingefahren ist.
Gemäß § 8 Abs. 1a StVO haben Fahrzeuge im Kreisverkehr Vorfahrt, sofern das Zeichen 205 dies an der Einmündung anordnet. Wer in einen Kreisverkehr einfährt, muss daher auf den Verkehr achten, der sich bereits im Kreisverkehr befindet. Weiterfahren darf er nur, wenn er eine Gefährdung oder wesentliche Behinderung von bereits im Kreisverkehr befindlichen Verkehrsteilnehmern ausschließen kann.
Kommt es daher beim Einfahren in den Kreisverkehr zu einem Unfall, spricht der Anscheinsbeweis zunächst gegen den Einfahrenden. Denn da bereits im Kreisverkehr befindliche Verkehrsteilnehmer Vorfahrt haben, liegt es bei einem Unfall nahe, dass der in den Kreisverkehr Einfahrende sich falsch verhalten hat. (LG Saarbrücken, Urt. v. 28.03.2014, Az. 13 S 196/13; AG Hamburg-Barmbek vom 24.5.2018, Az. 812 C 4/18; OLG Köln vom 12.3.2015, Az. 19 U 153/14). Dies gilt selbst dann, wenn der Wartepflichtige nur geringfügig in den Kreisverkehr eingefahren ist (AG Rheinbach, Urt. v. 29.08.2006, Az. 5 C 17/06). Daran, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Einfahren in den Kreisverkehr und der Vorfahrtverletzung bestehen muss, ändert das jedoch nichts.
Etliche Gerichte vertreten zudem die Auffassung dass aus der gefahrenen Strecke keine Rückschlüsse auf den Zeitpunkt des Einfahrens in den Kreisverkehr gezogen werden können, aus denen sich typischerweise auf eine Vorfahrtsberechtigung des Verkehrsteilnehmers schließen lässt (vgl. LG Detmold vom 22.12.2004, Az. 2 S 110/04; OLG Düsseldorf vom 15.9.2016, Az. 1 U 195/14; OLG Koblenz, Urt. v. 20.06.2016, Az. 12 U 312/15; OLG Dresden, Urt. v. 04.11.2019, Az. 4 U 1797/19).
Eine weitere Problematik ergibt sich, wenn sich weder die Vorfahrtberechtigung des im Kreisverkehr befindlichen Fahrers noch ein Verstoß des in den Kreisverkehr einfahrenden Autofahrers feststellen lässt. Das LG Lübeck geht in einer solchen Konstellation davon aus, dass beide Beteiligten gegen die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme und gegen die Pflicht, ihre Geschwindigkeit anzupassen, verstoßen haben.
Bei einem Unfall im Kreisverkehr greift der Anscheinsbeweis nicht immer. Die im Kreisverkehr zurückgelegte Strecke liefert keinen eindeutigen Beweis darüber, welcher Verkehrsteilnehmer zuerst in den Kreisverkehr eingefahren ist.
Bei Fehlen klarer Anhaltpunkte oder Beweise besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen Verstoß gegen das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme gemäß § 1 StVO sowie das Gebot einer angemessenen Geschwindigkeit gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 StVO durch beide Parteien.
Wie das LG Lück, so hatte es zuvor auch das OLG Koblenz (s.o.) auf den Punkt gebracht, wie folgt: “Konnten die Beklagten nicht den Beweis führen, dass der beklagte Unfallbeteiligte sich mit seinem Fahrzeug bereits vor der Einfahrt des anderen Unfallbeteiligten in den Kreisel in diesem Kreisel befunden hat, kann nicht von einem Vorfahrtsrecht des beklagten Unfallbeteiligten i.S.d. § 8 Abs. 1a StVO ausgegangen werden und es ist eine hälftige Schadensverteilung vorzunehmen.”
Bei der Beantwortung der Frage, ob die Beteiligten den Schaden am Ende tatsächlich zu gleichen Teilen tragen müssen, kommt das Quotenvorrecht ins Spiel.
Wie bei jedem Unfall gilt daher auch hier: Kontaktieren Sie uns!