Wenn es um die Veräußerung von Unfallfahrzeugen über Restwertbörsen geht, fallen immer wieder Stichworte wie Schadenminderungspflicht, Sondermarkt, regionaler Markt, unrealistisch hohe Restwertgebote oder illegale Verhaltensweisen (AG Lübeck, Hinweisbeschluss vom 11.08.2020 (Az. 22 C 1464/20). Und wer das System kennt weiß, dass es den Versicherern dabei weniger um Vorteilen für den Geschädigten als vielmehr um die Reduzierung eigener Aufwendungen geht. Vom Grundsatz her ist dagegen auch nichts einzuwenden, solange die Dispositionsfreiheit des Geschädigten respektiert und nicht versucht wird, ihm das Heft aus der Hand zu nehmen und in das Schema des Versicherers oder der jeweiligen Restwertbörse zu zwingen.
So kann z.B. ein Geschädigter nicht dazu gezwungen werden, sich ein Restwertangebot eines aus Litauen stammenden Anbieters anrechnen zu lassen, dessen Seriosität er nicht überprüfen kann (LG Stuttgart, Urt. v. 14.08.2019, Az. 4 S 76/19). Dubiose, illusorische Restwertangebote muss ein Geschädigter ohnehin nicht annehmen (vgl. AG Ludwigsburg, Urt. v. 19.07.2017, Az. 6 C 567/17). Außerdem ist es keinem Geschädigten zumutbar, sich bei Streitigkeiten mit dem Aufkäufer auf Auseinandersetzungen in einer fremden Sprache in einer fremden Rechtsordnung einzulassen (AG Villingen-Schwenningen, Urt. v. 02.12.2021, Az. 11 C 231/21).
Wie der BGH bereits 2010 festgestellt hatte, leistet ein privater Geschädigter dem Gebot zur Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung durch § 249 BGB gezogenen Grenzen, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeugs zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine konkrete Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Dies gilt selbst dann, wenn es sich dabei um “0-Euro-Gebote” handelt. Wenn der beauftragte Sachverständige unmissverständlich und nachvollziehbar ausführt hat, dass das Fahrzeug nicht mehr zum Wiederaufbau oder zu einem wirtschaftlichen Ausschlachten geeignet ist und drei Restwertangebote aufführt, die sämtlich auf 0,00 € lauten, darf der Geschädigte sich auf diese Einschätzung der Person, die er “gerade aufgrund ihrer besonderen Sachkunde mit der Ermittlung auch eines etwaigen Restwertes betraut hatte” verlassen (AG Leutkirch, Urt. v. 26.01.2022, Az. 2 C 263/21; s.a. BGH, Urt. v. 01.06.2010, Az. VI ZR 316/09).
Auf Angebote des Sondermarktes für Restwertaufkäufer, wie sie dem Versicherer zur Verfügung stehen, muss er sich dabei grundsätzlich nicht verweisen lassen. Lediglich für gewerbliche Geschädigte die den Sondermarkt im Rahmen des eigenen Gewerbes typischerweise ohne weiteres nutzten, können andere Maßstäbe gelten (BGH, Urt. v. 07.07.2024, Az. VI ZR 211/22; 25.06.2019, Az. VI ZR 358/18).
Ungeachtet der obigen Ausführungen, können Geschädigte – als Folge der ihnen obliegenden Schadenminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 S. 1 BGB – dennoch gehalten sein, von einer an sich zulässigen Verwertung Abstand zu nehmen. Eine derartige Situation kann z.B. vorliegen, wenn der Versicherer dem Geschädigten – bevor dieser sein Fahrzeug auf der Grundlage der rechtskonform eingeholten Restwertgebote veräußert hat – seinerseits ein günstigeres oder zumutbares Verwertungsangebot unterbreitet hat. Wenn der Versicherer den Geschädigten – ohne dass er bereits ein konkretes Angebot unterbreiten kann – dazu auffordert, mit der Veräußerung zu warten, bis der Versicherer seinerseits entsprechende Angebote vorlegen kann, ist dies für Geschädigte unbeachtlich.
Wörtlich heißt es in dem Urteil: „Ein Geschädigter ist weder unter dem Gesichtspunkt des Wirtschaftlichkeitsgebots noch unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht dazu verpflichtet, über die Einholung des Sachverständigengutachtens hinaus noch eigene Marktforschung zu betreiben oder einen Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet in Anspruch zu nehmen. Auch ist er nicht gehalten abzuwarten, um dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer vor der Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs Gelegenheit zu geben, zum eingeholten Gutachten Stellung zu nehmen und gegebenenfalls bessere Restwertangebote vorzulegen (BGH, Urteil vom 27.9.2016, Az. VI ZR 673/15). Der Gesetzgeber hat dem Geschädigten in § 249 Abs. 2 S 1 BGB die Möglichkeit eingeräumt, die Behebung des Schadens unabhängig vom Schädiger in die eigenen Hände zu nehmen und in eigener Regie durchzuführen. Diese gesetzgeberische Grundentscheidung würde unter laufen, wäre der Geschädigte schadensrechtlich grundsätzlich verpflichtet, vor der von ihm beabsichtigten Schadensbehebung Alternativvorschläge des Schädigers einzuholen und diesen dann gegebenenfalls zu folgen (BGH, Urteil vom 27.9.2016, Az. VI ZR 673/15).“
Dem ist nichts hinzuzufügen, außer dass Geschädigte sich ihre Rechte nicht vom Versicherer des Unfallgegners aus der Hand nehmen lassen sollten. Diesem geht es schließlich in erster Linie um sein eigenes Wohl und nicht um das des Geschädigten. Schönfärberische Formulierungen wie “Wir können Ihnen sicher ein besseres Angebot vermitteln. Bitte warten Sie unsere Nachricht ab, damit Ihnen keine Nachteile entstehen”, die zu allem Überfluss auch noch mit BGH-Urteilen unterlegt werden, die genau das Gegenteil besagen, ändern daran nichts. Sie belegen vielmehr, dass – zur Wahrung der Rechte – von Anfang an ein Anwalt eingeschaltet werden sollte. Und da kein Verkehrsunfall einfach gelagert ist, gilt: Der Versicherer des Unfallverursachers muss die Kosten übernehmen.
Sollte er sich weigern oder die Kosten nicht vollständig erstatten wollen, kontaktieren sie uns!
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Aktualisiert am 04.112024