Wer mit Kindern im Auto unterwegs ist, muss dieselbe Vorsicht walten lassen wie jeder andere Autofahrer. Doch was passiert, wenn sich der Autofahrer im stockenden Verkehr zum Nachwuchs umdreht und es zum Unfall kommt? Mit dieser Frage befasste sich neuerdings das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main in seinem Urteil vom 12.02.2020 (Az.: 2 U 43/19).
Was war passiert?
Ein Vater hatte einen Wagen angemietet. Im Mietvertrag war unter anderem eine Haftungsfreistellung mit einer Selbstbeteiligung in Höhe von 1.050 Euro für jeden Schadensfall – auch für den Fall eines selbstverschuldeten Unfalls – vereinbart. Sollte der Schadensfall jedoch grob fahrlässig herbeigeführt werden, war das Mietwagenunternehmen berechtigt je nach Verschulden des Kunden die Haftungsfreistellung zu kürzen.
Während einer Autobahnfahrt – mit seinen beiden 8- und 9-jährigen Söhnen auf der Rückbank – wechselte der Vater im stockenden Verkehr auf die rechte Fahrspur. Beim Fahrspurwechsel bemerkte er während des Schulterblicks, dass der jüngere der beiden Brüder einen Gegenstand in der Hand hielt. Weil der Autofahrer diesen nicht eindeutig erkennen konnte und befürchtete, dass es etwas Gefährliches sein könnte, drehte er sich nach vollendetem Fahrspurwechsel bei Tempo 50 bis 60 km/h vollständig zu dem hinten rechts sitzenden Sohn um. Dadurch sah er nicht mehr das Fahrgeschehen vor dem Wagen und fuhr auf ein vorausfahrendes Motorrad auf.
Für den entstandenen Schaden von circa 10.000 Euro beglich der Autofahrer lediglich die vereinbarten 1.050 Euro Selbstbeteiligung. Das Mietwagenunternehmen war damit jedoch nicht einverstanden und verklagte den Vater. Das Landgericht (LG) Wiesbaden lehnte die Forderung des Mietwagenunternehmens jedoch ab. Aus Sicht des Gerichts lag lediglich ein Augenblicksversagen vor.
Das Mietwagenunternehmen teilte diese Auffassung jedoch nicht und ging in Berufung, wo es nunmehr 50 Prozent des entstandenen Schadens beanspruchten. Aus seiner Sicht handelte der Vater grob fahrlässig, als er sich zu seinem Sohn umdrehte.
Die Entscheidung des Gerichts
Das OLG Frankfurt sprach dem Mietwagenunternehmen einen Schadensersatzanspruch in Höhe der geforderten 50 Prozent zu. Begründet wurde die Entscheidung wie folgt: Durch das Umdrehen nach rechts hinten sei es dem [Autofahrer] unmöglich gewesen, das vor ihm befindliche Verkehrsgeschehen zu beobachten und hierauf gegebenenfalls zu reagieren. Auch und gerade bei stockendem Verkehr müsse der Fahrer die vor ihm befindlichen Fahrzeuge ständig beobachten. Tatsächlich habe der [Autofahrer] jedoch seine Aufmerksamkeit während der Fahrt seinem auf der Rückbank befindlichen Kind zugewandt. Dass dies unter den gegebenen Umständen zu in hohem Maße gefährlichen Verkehrssituationen führen kann, muss jedem Fahrer einleuchten(
). Die vor einem befindliche Fahrspur zu beobachten, stelle eine einfachste, ganz naheliegende Überlegung dar.
Ein Augenblicksversagen lehnte das Gericht dagegen ab.
Auch im Falle eines gefährlichen Gegenstandes habe der Vater die Gefahr nicht durch das bloße Umdrehen abwenden können. Sicherer wäre es gewesen den 8-Jährigen oder seinen älteren Bruder auf den Gegenstand anzusprechen oder entsprechend anzuweisen, bis der Fahrer sicher anhalten konnte.
Kanzlei Voigt Praxistipp
Wer am Verkehr teilnimmt, sollte sich auch auf den Verkehr konzentrieren können, um auf Gefahrensituationen reagieren zu können. Als Elternteil ist dies mit Kindern auf der Rückbank nicht immer einfach. Dennoch sollte zumindest bei Geschwindigkeiten um 50 km/h und mehr der Fokus auf dem Verkehrsgeschehen liegen. Das schließt jedoch Situationen, in denen tatsächlich ein Augenblicksversagen vorliegt, nicht vollständig aus. Im Zweifelsfall ist gut beraten, wer rechtzeitig einen Rechtsrat einholt. Die erfahrenen Rechtsanwälte der ETL Kanzlei Voigt helfen Ihnen gerne weiter.
(Quelle: Pressemitteilung Nr. 16/2020 vom 09.03.2020)
Bildnachweis: Pexels/ Ketut Subiyanto