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Tödlicher Wegeunfall vor Schichtende?

Morgens zur Arbeit hin, einstempeln, zum Schichtende ausstempeln und nach Hause fahren. Der unmittelbare Weg zur Arbeit hin und wieder nach Hause zurück ist in der Regel über die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert. Doch was, wenn der Mitarbeiter von der üblichen Routine abweicht und unterwegs tödlich verunglückt? Liegt auch dann ein versicherter Wegeunfall vor? Mit dieser […]
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24.11.2020
ca. 4 Minuten
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Morgens zur Arbeit hin, einstempeln, zum Schichtende ausstempeln und nach Hause fahren. Der unmittelbare Weg zur Arbeit hin und wieder nach Hause zurück ist in der Regel über die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert. Doch was, wenn der Mitarbeiter von der üblichen Routine abweicht und unterwegs tödlich verunglückt? Liegt auch dann ein versicherter Wegeunfall vor? Mit dieser Frage musste sich das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 06.10.2020 (Az.: B 2 U 9/19 R) befassen.

Was war passiert?

Ein Produktionsmitarbeiter verließ im Juni 2014 seinen Arbeitsplatz bei laufender Maschine ohne erkennbaren Grund noch vor Schichtende. Er stempelte sich auch nicht aus und verschickte auch nicht – wie sonst üblich – eine SMS an seine Frau, dass er sich auf den Heimweg mache. Auf der Route, die seinem direkten Heimweg von der Arbeit entsprach, geriet er auf die linke Fahrbahnseite – kurz vor einer Abzweigung zu seinem Zuhause. Dabei verunfallte er tödlich bei einem Zusammenstoß mit einem LKW.

Die Witwe des Mitarbeiters machte bei der Berufsgenossenschaft (BG) Hinterbliebenenleistungen geltend. Schließlich sei ihr Mann bei einem Wegeunfall auf dem Heimweg von der Arbeit ums Leben gekommen. Daher greife die gesetzliche Unfallversicherung. Die BG lehnte den Anspruch jedoch ab. Es sei nicht feststellbar, dass der Verstorbene sich beim Unfallereignis auf seinem Weg nach Hause befunden habe.

Die Witwe erhob zunächst Klage beim Sozialgericht (SG) Dresden – mit Erfolg. Das Sozialgericht verurteilte nach Anhörung der Witwe und der Arbeitskollegen des Verstorbenen die Berufsgenossenschaft mit Urteil vom 04.05.2017 (Az.: S 39 U 234/15) dazu, den Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen. Zum Unfallzeitpunkt sei der Produktionsmitarbeiter auf dem Weg nach Hause gewesen. Die darauf gerichtete subjektive Handlungstendenz des Verstorbenen sei nach Auswertung der zur Verfügung stehenden Beweismittel nach freier richterlicher Überzeugung unter Berücksichtigung der einschlägigen Beweisregeln zu bejahen.

Die Berufsgenossenschaft ging gegen dieses Urteil in Berufung. Das Sächsisches Landessozialgericht (LSG) hob dieses mit seinem Urteil vom 28.11.2018 (Az.: L 6 U 103/17) auch auf. Denn es müsse der Vollbeweis erbracht werden, dass sich der Verstorbene auf dem Heimweg befand. Das heißt, dass das Gericht dermaßen Gewissheit darüber haben müsste, dass sie den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.

Aber: Mit dem hierfür erforderlichen Beweisgrad könne weder aus dem äußeren Verhalten des Verstorbenen noch aus den sonstigen Umständen die notwendige subjektive Handlungstendenz, gerichtet auf Rückkehr in den Privatbereich nach Beendigung der Tätigkeit, abgeleitet werden. Es komme auch keine Beweiserleichterung aufgrund einer typischen Beweisnot in Betracht, da dem Zurücklegen des Weges gerade kein typischer Ablauf der Geschehnisse vorausgegangen sei. Weil sich der Produktionsmitarbeiter weder ausgestempelt, noch bis zum Schichtende gewartet, noch bei seiner Frau gemeldet hatte, bestanden Zweifel über den Heimweg.

Die Witwe wandte sich mit einer Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts an das Bundessozialgericht.

Die Entscheidung des Bundessozialgerichts

Das Bundessozialgericht bestätigte im Ergebnis, dass das Urteil des SG Dresden zu Recht aufgehoben wurde – wenn auch auf anderer Rechtsgrundlage gestützt. Denn ein Hinterbliebener habe kein isoliertes schutzwürdiges Feststellungsinteresse daran, dass es sich um einen Arbeitsunfall handle. Vielmehr sei dies im Rahmen der geltend gemachten Hinterbliebenenleistungen zu prüfen. Ein rechtliches Bedürfnis für eine isolierte Vorabentscheidung über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls beim Verstorbenen besteht mithin nicht.

Nichtsdestotrotz stellte das Bundessozialgericht klar: Der verstorbene Ehemann der Klägerin hat keinen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Absatz 1 SGB VII (Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung) erlitten, als er mit dem entgegenkommenden kollidierte. Nach § 8 Absatz 2 Nummer 1 SGB VII (…) ist versicherte Tätigkeit auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Zum Zeitpunkt des Unfalls befand sich der Verstorbene aber nicht auf einem versicherten Weg (…).

Für das Bundessozialgericht war das Landessozialgericht nach der Beweiswürdigung zu Recht davon ausgegangen, dass sich die Handlungstendenz des Verstorbenen nicht mehr aufklären ließe. Zwar bewegte sich der Ehemann der Klägerin objektiv auf der Route seines üblichen Heimwegs von seiner Arbeitsstätte fort, jedoch fehlte es an dem erforderlichen sachlichen Zusammenhang des unfallbringenden Weges mit seiner Beschäftigung (…). Hierfür ist erforderlich, dass der Verstorbene gerade mit der Handlungstendenz unterwegs war, den Heimweg von der Arbeitsstätte zurückzulegen. Die entsprechende Handlungstendenz des Verstorbenen, gerichtet auf das Zurücklegen des direkten Weges von der Arbeitsstätte in den Privatbereich, muss zur vollen richterlichen Überzeugung des Tatsachengerichts vorliegen. Nach dem vom bindend ermittelten Sachverhalt (§ 163 SGG (Sozialgerichtsgesetz)) ist nicht mehr feststellbar, ob der Verstorbene am Unfalltag den Weg mit der Zwecksetzung zurückgelegt hat, vom Ort der Tätigkeit aus unmittelbar nach Hause (oder an einen dritten Ort mit einer beabsichtigten Aufenthaltsdauer von mindestens 2 Stunden) zu gelangen.

Kanzlei Voigt Praxistipp

Ob ein versicherter Wegeunfall vorliegt oder nicht, kann bereits von Kleinigkeiten abhängen. Kommen mehrere atypische Umstände zusammen, kann dies bereits erhebliche Zweifel hervorrufen, wie dieser Fall zeigt. Die vorzeitige Beendigung der Schicht für sich genommen kann auf einem triftigen Grund beruhen. Einmal vergessen auszustempeln kann jedem passieren. Die SMS an die Ehefrau dieses eine Mal nicht versenden ist einzeln betrachtet kein Malheur. Im Gesamtbild weicht das Verhalten jedoch soweit vom typischen nach Hause Weg zum Feierabend ab, dass – wenn auch die übliche Strecke gefahren wurde – für die Gerichte Gründe für Zweifel bestehen.

Häufig können bereits bei der Schadensmeldung mehrdeutige Formulierungen, unklare Äußerungen oder einfach falsche Begrifflichkeiten bei der Anspruchsdurchsetzung Schwierigkeiten bereiten. Daher ist die frühzeitige richtige Weichenstellung maßgeblich. Die erfahrenen Rechtsanwälte der ETL Kanzlei Voigt stehen Ihnen dabei gerne zur Seite.

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