Die Situation ist eine der häufigsten Unfallkonstellationen: Zwei Fahrzeuge parken rückwärts aus gegenüberliegenden Parkbuchten aus und kollidieren. Spontan meint jeder, dass die Beteiligten zu gleichen Teilen haften und der Schaden zu teilen ist. Doch so einfach ist das nicht, wie der Bundesgerichtshof (BGH) bereits 2015 (Urt. v.15.12.2015, Az. VI ZR 6/15) feststellte.
Standardmäßig wird argumentiert, dass ein beiderseitiger Verstoß gegen identische Sorgfaltspflichten grundsätzlich eine Haftungsquote von 50 % begründet. Eine höhere Quote komme nur in Betracht, wenn einer der Unfallbeteiligten nachweisen kann, dass er bereits längere Zeit gestanden hat. Im vorliegenden Fall stand fest, dass vor der Kollision ein Fahrzeugführer rückwärts gefahren ist. Es konnte aber nicht ausgeschlossen werden, dass ein Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits stand, als der andere – rückwärtsfahrende – Unfallbeteiligte mit seinem Fahrzeug in das Fahrzeug hineingefahren ist.
Gegen den Rückwärtsfahrenden spricht zunächst der erste Anschein dafür, dass er allein den Unfall verschuldet hat. Denn das Rückwärtsfahren stellt einen äußerst gefährlichen Fahrvorgang dar. Der Rückwärtsfahrende wird dabei verpflichtet, alles zu vermeiden, was andere Verkehrsteilnehmer oder Sachen gefährdet oder gar schädigt. Bei Parkplatzunfällen spricht daher regelmäßig ein allgemeiner Erfahrungssatz dafür, “dass der Rückwärtsfahrende seiner Sorgfaltspflicht nach § 1 StVO in Verbindung mit der Wertung des § 9 Abs. 5 StVO nicht nachgekommen ist und den Unfall dadurch (mit)verursacht hat” BGH, Urt. v. 11.10.2016, Az. VI ZR 66/16)
Der erste Anschein reicht allerdings nicht, wenn weitere Umstände vorliegen, die untypisch nach der Lebenserfahrung bei solchen Fallgestaltungen eines Unfalls sind.
So meinten die Richter am BGH, dass es untypisch sei, wenn
Vielmehr gebe es keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach sich der Schluss aufdrängt, dass auch der Fahrzeugführer, der sein Fahrzeug vor der Kollision auf dem Parkplatz zum Stillstand gebracht hat, die ihn treffenden Sorgfaltspflichten verletzt hat. Nur dann können aber die aus einem typischen Geschehen folgenden Schlüsse auf ein Verschulden des Fahrzeugführers Anwendung finden.
Der BGH bewertet damit auch die besondere Situation auf Parkplätzen. Hier müssen Verkehrsteilnehmer jederzeit damit rechnen, dass rückwärtsfahrende oder ein- und ausparkende Fahrzeuge ihren Verkehrsfluss stören. Sie müssen daher von vornherein mit geringer Geschwindigkeit und bremsbereit fahren, um jederzeit anhalten zu können. Kommt der Fahrer beim Rückwärtsfahren vor einer Kollision zum Stehen, genügte er damit seiner Pflicht zum jederzeitigen Anhalten. Somit bleibt für den Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Rückwärtsfahrenden kein Raum. Der Umstand, wonach ein sorgfaltswidriges Verhalten des Geschädigten – sofern es nicht unstreitig gegeben ist – positiv festgestellt werden muss (BGH, Urt. v. 26.01.2016, Az. VI ZR 179/15).
Einem Urteil des OLG Saarbrücken zufolge (Az. 4 U 6/20 v. 13.08.2020), ist auf das Rückwärtsfahren nicht § 9 Abs. 5 StVO, sondern § 10 Satz 1 StVO anzuwenden. Begründet hat es dies damit, dass § 9 StVO nur für Verkehrsvorgänge anwendbar sei, die auf Straßen stattfinden und nicht auf das Einfahren auf eine Straße von einem Parkplatz.
Siehe auch:
Vorsicht im Parkhaus!
Rechts vor links im Parkhaus?
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