BayObLG, Beschluss v. 07.07.2025, Az. 201 ObOWi 407/25
Eine Autofahrerin, die wegen eines Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße und einem Fahrverbot verurteilt worden war, legte Rechtsbeschwerde beim Bayerischen Oberlandesgericht ein. Das ist an sich nichts Besonderes.
Die Besonderheit des Falls bestand darin, dass sie die Haltelinie nachweislich bei Grün überfahren hatte. Allerdings musste sie aufgrund stockenden Verkehrs noch vor der Kreuzung anhalten, wobei ihr Pkw noch nicht in die Kreuzung hineinragte. Nachdem sich der Stau aufgelöst hatte, wartete sie noch ein paar Sekunden und bog dann – trotz Grünlichts für den Querverkehr – in die Kreuzung ein. Dabei kam es zu einem Unfall mit Sachschaden.
Laut Rechtsprechung gilt für Fahrzeugführer, die bei „Grün“ eine Haltlinie überfahren und die Ampel nach dem Passieren auf „Rot“ schaltet, ab diesem Zeitpunkt objektiv das Haltgebot vor der Kreuzung (BGH, Beschluss vom 24.06.1999, Az. 4 StR 61/99).
Kommt ein Autofahrer erst im Verkehrsraum hinter der Lichtzeichenanlage zum Stehen, muss er bei beginnendem und erst recht bei angelaufenem Querverkehr damit rechnen, dass die Lichtzeichenanlage für seine Fahrtrichtung inzwischen auf Rotlicht umgeschaltet hat.
Beachtet er dies nicht und fährt trotzdem los, handelt er objektiv verkehrswidrig. Dies ist subjektiv vorwerfbar, wenn er über einen längeren Zeitraum zwischen Ampel und Kreuzungsbereich verharrt und anschließend bei Rotlicht der bereits passierten Lichtzeichenanlage nach rechts in den mittlerweile ungebremst laufenden Querverkehr abbiegt, für den Grünlicht angezeigt wird.
Warum ist das Hineinragen in den Kreuzungsbereich wichtig?
Ob sich ein Fahrzeugführer auf den Vorrang des Kreuzungsräumers berufen kann, hängt davon ab, ob sein Fahrzeug nach dem Überfahren der Haltelinie bei Grün in den Kreuzungsbereich hineinragt. Jede andere Sichtweise wird der Vorschrift des § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO nicht gerecht. Diese ordnet bei Rotlicht das Gebot „Halt vor der Kreuzung” an und dient dem Schutz des Querverkehrs.
Als „Kreuzungsbereich“ wird regelmäßig die durch Fluchtlinien bestimmte Kreuzung bezeichnet. Was das im Einzelfall genau bedeutet, hängt von den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten ab, die der Tatrichter zur Ausfüllung des unbestimmten Begriffs festzustellen hat.
Das Rotlicht nach § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO soll den gesamten berechtigten Verkehr schützen, der in die Kreuzung einmündet (vgl. BayObLG, Beschluss vom 19.10.1993, Az. 2 ObOWi 399/93).
Der Schutz betrifft auch den im innerörtlichen Bereich an ampelgeregelten Kreuzungen und Einmündungen häufig anzutreffenden Fahrrad- und Fußgängerverkehr, der die durch das Rotlicht gesperrte Straße quert.
Die Fluchtlinie, die den Beginn des geschützten Bereichs markiert, bezieht sich daher nicht nur auf den Fahrbahnbereich für Kraftfahrzeuge. Sie wird auch durch Fußgängerüberwege bzw. -furten und Fahrradwege bestimmt, die vor der einmündenden Kraftfahrzeugfahrbahn liegen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 26.11.2013, Az. 4 Ss 601/13; OLG Dresden, Beschluss vom 07.11.2002, Az. Ss [OWi] 508/02).
Das Urteil des Amtsgerichts ließ nicht deutlich erkennen, ob die Betroffene nach Passieren der Ampel den Kreuzungsbereich bei Umschalten auf Rotlicht bereits erreicht hatte oder ob sie davor zum Stehen gekommen war. Eine ausreichende Feststellungsgrundlage, um einen Schuldspruch wegen eines Rotlichtverstoßes ausschließen oder treffen zu können, fehlte daher. Zudem blieb offen, ob sie sich der Reichweite des durch das Rotlicht geschützten Kreuzungsbereichs bewusst war.
Somit blieb offen, ob ihr späteres Rechtsabbiegen trotz Querverkehrs lediglich gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot und das Schädigungsverbot nach § 1 StVO verstieß, weil sie sich zum Zeitpunkt des Umschaltens der Ampel auf Rotlicht bereits im Kreuzungsbereich befand und somit nicht gegen das Gebot „Halt vor der Kreuzung“ verstoßen hatte, oder ob ein Rotlichtverstoß gemäß § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO vorlag.
Am Ende kam das Oberlandesgericht (OLG) daher nicht umhin, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.