Parkplätze und Parkhäuser sind häufig mit Schildern wie Hier gilt die StVO
versehen. Doch was, wenn ein solches Schild fehlt? Gilt dann dennoch rechts vor links
? Und wer haftet für Unfallfolgen, wenn es dann kracht? Mit dieser Frage befasste sich das Oberlandesgericht (OLG) München in seinem Urteil vom 27.05.2020 (Az.: 10 U 6767/19).
Was war passiert?
In einer Parkhausanlage kollidierten zwei Autos. Die Halterin des Wagens, der über eine Rampe ins Parkhaus eingefahren war, verlangte von der Halterin des anderen Fahrzeugs, das von links aus einer kreuzenden Fahrgasse kam, Ersatz des Fahrzeugschadens. Als der Versicherer des von links kommenden Fahrzeugs den Schaden zu 50 Prozent reguliert hatte und sich weigerte den restlichen Schaden auszugleichen, zog die geschädigte Halterin des ins Parkhaus eingefahrenen Wagens vor Gericht.
Das zunächst angerufene Landgericht (LG) Landshut (Urteil vom 22.11.2019 – Az.: 44 O 2866/19) sah keinen weitergehenden Anspruch der Geschädigten auf Schadensersatz und wies die Klage ab. Dagegen legte sie jedoch Berufung ein.
Die Entscheidung des Gerichts
Das OLG München ließ ein Sachverständigengutachten erstellen und befasste sich eindringlich mit den örtlichen Gegebenheiten sowie der Frage, ob die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) und allem voran die Vorfahrtsregelung des § 8 StVO Geltung hätten.
Wann gilt die StVO?
Das Gericht stellte klar: Die StVO gilt zunächst im öffentlichen Verkehrsraum – unabhängig davon, ob dies ausgeschildert ist oder nicht. Eine entsprechende Beschilderung war für das Parkhaus jedoch ohnehin nicht (wirksam) aufgestellt. Das brauchte es aber auch nicht. Öffentlich ist ein Verkehrsraum, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird. Dies ist vorliegend beim Parkhaus P6 der Fall, zumal es nicht nur von Mitarbeitern der Autovermietfirmen, sondern, wie der vorliegende Fall zeigt, auch von Fahrzeugmietern, welche die von Ihnen angemieteten Fahrzeuge abholen oder zurückbringen, benutzt wird.
Straßencharakter?
Allerdings hat die Geltung der StVO nicht automatisch zur Folge, dass für jeden Kreuzungsbereich auf dem Parkplatz oder im Parkhaus rechts vor links
gilt. Denn: Die Funktion des § 8 I StVO, nämlich die Schaffung und Aufrechterhaltung eines (quasi) fließenden Verkehrs, muss deutlich im Vordergrund stehen. Auf allein dem Ein- oder Ausfahren aus einem Parkhaus dienenden, äußerlich vergleichbaren Fahrbahnen gilt grundsätzlich rechts vor links (
).
Für die Einfahrspur sei dies zutreffend.
Jedoch wurde sie von einer Fahrgasse, auf der sich das Fahrzeug der Unfallgegnerin befand, gekreuzt. Und hierzu stellte das Gericht fest: Eine Fahrgasse zwischen markierten Parkreihen bildet keine Fahrbahn mit Straßencharakter, wenn die Abwicklung des ein- und ausparkenden Rangierverkehrs zumindest auch zweckbestimmend ist. Dies ist vorliegend bei der vom Fahrer des Fahrzeugs der [Unfallgegnerin] benutzten Fahrgasse der Fall.
Erkennbarkeit?
Für den Fahrer des Geschädigtenfahrzeuges war aus Sicht des Gerichts erkennbar, dass auf seiner Fahrspur – auch wenn sie als Einfahrt vorgesehen war – aufgrund der unmittelbar anschließenden ersten Parkplätze bereits mit ein- und ausparkenden Fahrzeugen und damit mit Suchverkehr zu rechnen
war. Anders dagegen war die Lage des Unfallgegners. Für diesen war gerade nicht ohne weiteres ersichtlich, dass die Einfahrtspur im weiteren Verlauf keine Parkplätze erschließt
, sondern lediglich eine Verbindung zum anderen Parkhaus darstellt.
Kein fließender Verkehr
Für das Gericht war dies insgesamt Grund dafür anzunehmen, dass die vom Fahrzeug der Geschädigten genutzte vorliegende Zufahrt nicht der Schaffung und Aufrechterhaltung eines (quasi) fließenden Verkehrs dient.
Es sah die bereits beglichene Erstattung von 50 Prozent als angemessen und wies die Berufung der Geschädigten daher zurück.
Kanzlei Voigt Praxistipp
Unfälle in Parkhäusern und auf Parkplätzen sind schnell passiert – eine kurze Unaufmerksamkeit genügt. Der damit verbundene Ärger ist oftmals groß, zumal die Aufklärung, wer wem in welchem Umfang haftet, mühsam sein kann. Sind Zeugen, die das Geschehen beobachtet haben, oder gar Überwachungskameras vorhanden, kann dies sehr hilfreich sein. Lassen Sie sich daher am besten vor Ort die Kontaktdaten der Zeugen oder der Überwachungseinrichtung geben. Und um ungerechtfertigten Kürzungen durch den Haftpflichtversicherer entgegenzutreten lohnt sich das frühzeitige Einschalten eines Rechtsbeistands. Die erfahrenen Rechtsanwälte der ETL Kanzlei Voigt helfen Ihnen gerne weiter.
Bildnachweis: Pixabay/MichaelGaida