Fest auf dem Armaturenbrett installierte Kameras, die das Verkehrsgeschehen in Fahrtrichtung aufzeichnen (sogenannte Dashcams) erfreuen sich zunehmend größerer Beliebtheit. Die Auswertung der damit gefertigten Aufnahmen stellt Gerichte vor die Abwägungsfrage zwischen dem Interesse des Beweisführers und dem Persönlichkeitsrecht des Aufgenommenen. Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg sah in seinem Hinweisbeschluss vom 10.08.2017 (Az.: 13 U 851/17) ein überwiegendes Interesse des Dashcam-Nutzers und entschied sich für die Verwertung der Aufnahmen.
Was war passiert?
Auf der Bundesautobahn A5 in Höhe Karlsruhe fuhr ein Lkw, in dem eine Dashcam montiert war, auf einen Pkw auf und beschädigte diesen. Der geschädigte Pkw-Fahrer wollte seinen Schaden ersetzt wissen und trug vor, dass er verkehrsbedingt abgebremst habe und ihm der Lkw aufgrund überhöhter Geschwindigkeit und zu geringem Abstand aufgefahren sei. Der Lkw-Fahrer dagegen beschrieb den Unfall so, dass der Pkw von der linken Spur über die mittlere auf die rechte Spur gewechselt sei und dort abrupt bis zum Stillstand abgebremst habe. Für ihn (den Lkw-Fahrer) sei der Unfall trotz sorgfältiger Reaktion nicht vermeidbar gewesen.
Weil der Versicherer des Lkws eine Zahlung verweigerte, zog der Geschädigte PKW-Fahrer vor Gericht und verlangte Schadensersatz in Höhe von fast 15.000 EUR.
Die Entscheidung des Landgerichts Regensburg
Das Landgericht (LG) Regensburg holte zur Rekonstruktion des Unfalls ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten. Dabei musste sich das Gericht mit der Frage befassen, ob die Aufzeichnungen der Dashcam auszuwerten seien. Der PKW-Fahrer machte seine Auffassung deutlich, dass die Dashcam-Aufzeichnungen nicht verwertet werden dürften, da dies in sein Persönlichkeitsrecht eingreife.
Der gerichtlich bestellte Sachverständige wertete für sein Gutachten die Aufzeichnungen der im Lkw montierten Dashcam aus und kam zu dem Ergebnis, dass die Version des Lkw-Fahrers zutreffend sei. Er merkte jedoch an, dass es für ihn ohne die Verwertung der Bilder nicht möglich sei festzustellen, welche der beiden Unfalldarstellungen zutreffend sei.
Das Landgericht wies die Klage daraufhin ab, vor allem unter Bezugnahme auf das Sachverständigengutachten einschließlich der Auswertung der Dashcam. Der PKW-Fahrer hielt an seiner Auffassung fest, dass die Dashcam-Aufzeichnungen nicht verwertbar sein und legte gegen das Urteil Berufung ein.
Die Entscheidung des OLG Nürnberg
In dem Hinweisbeschluss des OLG Nürnberg hat das Gericht seine Auffassung deutlich gemacht, dass die Dashcam-Aufzeichnungen vom LG Regensburg zu Recht dem Urteil zugrunde gelegt wurden. Ähnlich dem LG München I stützte es seine Entscheidung auf eine Interessen-und Güterabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls.
Das Gericht führte dazu insbesondere aus, das mit den Aufzeichnungen kein Eingriff in die Intim- oder Privatsphäre des Pkw-Fahrers verbunden sei. Das Interesse des Pkw-Fahrers bestehe lediglich darin, dass sein im öffentlichen Verkehrsraum stattfindendes Verhalten nicht für einen kurzen Zeitraum dokumentiert werde. Ein Verwertungsverbot aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, dem Kunsturheberrecht oder etwa datenschutzrechtlicher Normen ergebe sich daraus nicht; auch nicht durch die Rechte etwaiger Dritter – schließlich betreffe die Auswertung lediglich die relevanten Sequenzen zum Unfallhergang.
Demgegenüber stehe das Interesse des beklagten Lkw-Fahrers nicht zu Unrecht auf der Grundlage unwahrer Behauptungen verurteilt zu werden. Dies habe Vorrang gegenüber dem sehr geringfügigen Eingriff in die Interessen des Pkw-Fahrers daran, dass sein Fahrverhalten nicht dokumentiert werde.
Kanzlei Voigt Praxistipp
Anders als im Fall, der vom LG München I entschieden wurde, sollte die Dashcam-Aufzeichnung nicht zu Gunsten des Verwenders beweisen, dass ein bestimmter Anspruch besteht, sondern dem Schutz vor einer (wie sich durch die Auswertung gezeigt hat) ungerechtfertigten Forderung dienen. Hätte sich der Pkw-Fahrer ordnungsgemäß verhalten, wäre durch die Aufzeichnung das von ihm behauptete Unfallgeschehen bewiesen worden. Dies mag in der Abwägung zu der Entscheidung des OLG Nürnberg zugunsten der Auswertung beigetragen haben.
Der Beschluss des OLG Nürnberg stellt jedoch noch keinen Freibrief für Dashcam-Aufzeichnungen dar. Nur, wenn sich der Unfallhergang mit anderen Mitteln (wie einem unfallanalytischen Sachverständigengutachten) nicht aufklären lässt, erfolgt eine Interessensabwägung zwischen dem Beweissicherungsinteresse des Dashcam-Verwenders und den Interessen der aufgezeichneten Personen, die den Umständen des Einzelfalls ausreichend Gewicht gibt.
Im Zweifelsfall sollten Sie von Anfang an einen Fachmann einbeziehen. Die Rechtsanwälte der ETL Kanzlei Voigt stehen Ihnen bei der Unfallregulierung zur Seite.
(Quelle: Pressemitteilung des OLG Nürnberg)