Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall dürfen Geschädigte grundsätzlich einen Sachverständigen ihrer Wahl mit der Schadenschätzung beauftragen. Die dadurch anfallenden Kosten haben der Schädiger bzw. Versicherer zu tragen. Eine Ausnahme davon gilt bei sogenannten Bagatellschäden. In diesen Fällen kann ein – erstattungspflichtiger – Kostenvoranschlag einer Kfz.-Werkstatt genügen (AG München, Urt. v. 13.01.2023, Az. 338 C 4032/21). Aber auch dies ist nicht unverrückbar, wie das AG Erlangen in einem Urteil vom 19.01.2023, Az. 5 C 1006/21 feststellte.
Das Fahrzeug der Klägerin hatte bei einem Unfall einen Heckschaden erlitten und sie hatte einen Sachverständigen mit der Ermittlung des Schadenumfangs beauftragt. Dieser setzte – zur Besichtigung des Schadens sowie zu Feststellung etwaiger weiterer Schäden im Heckbereich – nicht nur eine Hebebühne ein, sondern veranlasste auch eine teilweise Demontage des Heckabschlussblechs. Am Ende stellte er fest, dass ein Schaden unterhalb der Bagatellschadensgrenze vorlag.
Der Versicherer des Unfallgegners erkannte den Schaden als solchen an und bezahlte die Kosten der Instandsetzung. Die Erstattung der Kosten des Sachverständigen verweigerte er dagegen.
Zur Begründung führte er aus, bei Reparaturkosten von netto unter 700 Euro sei lediglich ein verrechnungsfähiger Kostenvoranschlag einer Werkstatt, nicht aber ein kostenpflichtiges Sachverständigengutachten erstattungsfähig. Die Klägerin hielt dem entgegen, sie habe kein Gutachten, sondern eben lediglich eine Schadenskalkulation in Auftrag gegeben. Deren Kosten habe der Versicherer aber zu erstatten.
Das Amtsgericht Erlangen fackelte nicht lange, sondern machte kurzen Prozess. Mit Reparaturkosten in Höhe von 611,46 Euro (netto) habe ein Bagatellschaden vorgelegen, weshalb die Klägerin auch kein Gutachten, sondern lediglich eine Schadenskalkulation in Auftrag geben durfte. Ob sie diesen einem Sachverständigen oder einer Reparaturwerkstatt erteilt, könne sie frei entscheiden.
Im vorliegenden Sachverhalt sei der Versicherer jedenfalls zur Zahlung des zurückgehaltenen Betrags verpflichtet gewesen, da eben kein Sachverständigengutachten, sondern eine Schadenskalkulation in Auftrag gegeben worden war. Die mit der Nutzung der Hebebühne verbundenen Kosten hatte der Versicherer ebenfalls zu erstatten.
Die von dem Versicherer behauptete Vergütungsfreiheit eines Kostenvoranschlags durch Verrechnung – bei Erteilung eines Reparaturauftrags – wischte das Gericht mit dem Satz „Auf die Frage, ob die hierfür auf gewandten Kosten im Fall eines nachfolgenden Reparaturauftrages kulanzhalber nicht geltend gemacht werden, kommt es nicht an.“ vom Tisch.
Aufschlussreich waren die Ausführungen zur Anwendung der Bagatellschadengrenze!
Dem Gericht zufolge, darf die „Die Bagatellschadengrenze … nicht schematisch dergestalt angewandt werden, dass ex Post feststünde, ob die Einholung des Gutachtens erforderlich war oder nicht, je nachdem ob der fest gestellte Schaden über oder unter 700 Euro liegt. Die Bagatellschadengrenze stellt vielmehr nur ein Indiz dar. Deren Unterschreiten legt es nahe anzunehmen, dass die Einholung eines Gutachtens nicht erforderlich war. In diesem Fall ist es sodann die Obliegenheit des Geschädigten darzulegen, warum es aus seiner Sicht zum damaligen Zeitpunkt trotzdem erforderlich erschien, einen Sachverständigen zu beauftragen Sachverständigengutachten einzuholen. Dieser Darlegungslast genügt unter Umständen schon der Hinweis, dass es aufgrund der sichtbaren Schäden aus sachverständiger Sicht erforderlich war, das Unfallfahrzeug auf verdeckte Schäden zu untersuchen und hierzu eine Hebebühne erforderlich und eine Teilmontage vorzunehmen war.“
In dieselbe Bresche haben auch die Amtsgerichte Coburg (Urt. v. 06.04.2023, Az. 14 C 455/23), Marl (Urt. v. 15.09.2022, Az. 48 C 40/22) oder Böblingen (Urt. v. 07.09.2022, Az. 20 C 786/22) geschlagen.
Selbst wenn ein Schaden klein aussieht und sich am Ende tatsächlich auch als solcher herausstellt, darf ein Sachverständiger mit einer Schadenskalkulation beauftragt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich nicht auszuschließen lässt, dass – außer den sichtbaren – zusätzlich noch verdeckte Schäden vorliegen können.
Wenn der Versicherer des Unfallgegners sich quer stellt und die Erstattung der Kosten verweigert, lautet das probate Mittel dagegen: Voigt regelt!