Steht am Anfang einer Straße das Vorschriftszeichen 220 „Einbahnstraße“, darf diese nur in Pfeilrichtung befahren werden. Dem Verkehr in Gegenrichtung steht sie grundsätzlich nicht zur Verfügung. Das gilt auch für Fahrräder und Elektrokleinstfahrzeuge im Sinne der eKFV. Eine Ausnahme gilt bei Zusatzzeichen mit Fahrradsymbol und untereinander angeordneten Pfeilen in gegenläufiger Richtung (BGH, Urt. v. 06.10.1981, Az. VI ZR 296/79).
Ob die Front eines Fahrzeugs in die Richtung der vorgeschriebenen Fahrtrichtung zeigt, ist unwichtig. Genau genommen dürfen Einbahnstraßen daher sogar mit dem Heck voraus befahren werden, sofern dies in der vorgeschriebenen Fahrtrichtung erfolgt.
Die Antwort ist eindeutig zweideutig: Es kommt darauf an!
Wer eine Parklücke sieht, unmittelbar anhält und rangiert um rückwärts einzuparken, ist auf der sicheren Seite. Auch wer aus einem Grundstück rückwärts und entgegen der Fahrtrichtung auf die auf die Straße fährt hat grundsätzlich nichts zu befürchten – solange er nach dem ausfahren nicht rückwärts weiterfährt, z.B. um zu einer freien oder freiwerdenden Parklücke zu gelangen.
Denn während Rückwärtseinparken in Einbahnstraßen zulässig ist, stellt Rückwärtsfahren zu einer Parklücke ein Fahren gegen die vorgeschriebene Fahrtrichtung dar (OLG Düsseldorf, Urt. v 24.10.2017, Az. I-1 U 133/16; LG Berlin, Beschl. v. 22.07.2013, Az. 44 S 191/12; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 07.07.1977, Az. 3 Ss (B) 122/77); OLG Saarbrücken, zu einer Fahrtstrecke von 25 Meter, Urt. v. 06.02.1976, Az. 3 U 44/75).
Auch hier gilt: Es kommt darauf an! Ein entscheidender Aspekt ist die Fahrtrichtung der jeweils Unfallbeteiligten.
Wer ordnungsgemäß in die vorgeschriebene Richtung fährt soll sicher sein können, dass nicht plötzlich andere Fahrzeuge aus einer Einfahrt heraus vor ihm auf die Straße einbiegen. Dies gilt auch für denjenigen, der in einer Einbahnstraße in Fahrtrichtung vom Fahrbahnrand anfährt. Auch er muss nicht damit rechnen, dass ihm ein Kraftfahrzeug in unzulässiger Weise – d.h. entgegen der zulässigen Fahrtrichtung – entgegenkommt (z.B. OLG Köln, Urt. v. 16.05.1991, Az. 7 U 170/90; AG Ahrensburg, Urt. v. 09.03.2022, Az. 49a C 658/21) Wer die Straße allerdings entgegen der zugelassenen Fahrtrichtung benutzt, sich nicht auf den Schutzzweck des § 9 Abs. 5 StVO berufen kann. Kommt es zu einer Kollision besteht daher kein Anschein für ein Verschulden zu Lasten des vom Fahrbahnrand An- oder aus einer Grundstückseinfahrt heraus fahrenden Verkehrsteilnehmers (§ 10 StVO).
Der Vollständigkeit halber sei hier jedoch auf ein Urteil des AG Hanau hingewiesen, demzufolge bei einem Unfall, der in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Einfahren von einer Parkbucht in den Straßenverkehr stattfindet, das einfahrende Fahrzeug als Verursacher gilt, wenn eine weitere Aufklärung nicht möglich ist (AG Hanau, Urt. v. 05.06.2023, Az. 39 C 329/21 (19)).
Dessen ungeachtet ist auch in Einbahnstraßen nicht außergewöhnlich, d.h. damit zu rechnen, dass Fahrzeuge entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung rückwärtsfahrend versuchen, in einen Parkplatz einzufahren (LG Wuppertal, Urt. v. 19.07.2016, Az. 4 O 174/15).
Kann ein Ein- oder Anfahrender nicht übersehen, ob er den fließenden Verkehr gefährdet, darf er sich nur vorsichtig in die Fahrbahn hinein tasten, bis er die Situation übersehen kann. Vorsichtiges Hineintasten bedeutet dabei nicht nur bloßes langsames Fahren, sondern im Zweifel zentimeterweises Vorrollen bis zum Übersichtspunkt mit der Möglichkeit, sofort noch anzuhalten zu können (AG Brandenburg, Urt. v. 09.04.2019, Az. 31 C 168/18).
Ein in einer Parkbucht rückwärts rangierender Pkw-Fahrer hat gegenüber seitlich parkenden Fahrzeugen nur die jedem Verkehrsteilnehmer obliegende allgemeine Rücksichtnahmepflicht des § 1 Abs. 2 StVO zu beachten; OLG Jena v. 01.02.2004, Az. 1 Ss 80/04). Der Schutz anderer parkender Fahrzeuge ist mit § 9 Abs. 5 StVO nicht intendiert (OLG Stuttgart v. 17.05.2004, Az. 1 Ss 182/04). Folglich ist § 9 Abs. 5 StVO i.V.m § 49 Abs. 1 Nr. 9 StVO, 24 StVG daher nicht verletzt, wenn beim Rückwärtsfahren auf der Fahrbahn ein am Fahrbahnrand geparktes Fahrzeug beschädigt wird (LG Braunschweig, Urt. v. 29.06.2010, Az. 7 S 490/09)
Die klare Vorgabe der Fahrtrichtung in Einbahnstraßen Zeichen 220 ändert nichts daran, dass es immer wieder missachtet wird. Kommt es dann zu einer Kollision, ist der Streit nicht mehr weit. Sollten Sie in einer Einbahnstraße in einen Unfall verwickelt worden sein, kontaktieren Sie uns!
Voigt regelt!