Es kommt immer wieder vor, dass angebliche Kaufinteressenten sich – auch unter Vorlage gefälschter Dokumente – Fahrzeuge für eine unbegleitete Probefahrt ausleihen und anschließend nicht wieder zurückkehren. Um eine Entschädigung aus der Kaskoversicherung zu erhalten oder um das Fahrzeug von einem gutgläubigen Käufer herausfordern zu können, ist dann entscheidend, ob das Fahrzeug als abhandengekommen im Sinne von 935 BGB zu werten ist.
Der BGH hatte sich genau mit dieser Frage zu befassen und am 18.09.2020 entschieden, dass ein Fahrzeug, das einem vermeintlichen Kaufinteressenten für eine unbegleitete Probefahrt überlassen und von diesem nicht zurückgegeben wurde, dem Eigentümer nicht im Sinne von § 935 BGB abhandengekommen ist. Die Folge ist, dass dieser sein Eigentum an dem Fahrzeug verliert, wenn es nachfolgend durch einen Dritten in gutem Glauben erworben wird.
Was war passiert?
In einem Autohaus erschien ein angeblicher Kaufinteressent für einen hochwertigen Vorführwagen und bat um eine Probefahrt. Zur Legitimation legte er hochprofessionelle Fälschungen eines italienischen Personalausweises, einer Meldebestätigung einer deutschen Stadt und eines italienischen Führerscheins vor.
Die Dokumente wurden nicht als Fälschungen erkannt, das Fahrzeug wurde mit roten ennzeichen Versehen und , auf der Grundlage eines “Fahrzeug-Benutzungsvertrages, mit einem Fahrzeugschlüssel, Fahrtenbuch und Fahrzeugscheinheft sowie einer Kopie der Zulassungsbescheinigung Teil I, für eine unbegleitete Probefahrt von einer Stunde ausgehändigt.
Allerdings wurde das Fahrzeug nicht zu dem Autohaus zurückgebracht, sondern in einem Internetverkaufsportal inseriert. Dort entdecke es die späteren Beklagten, die die vorgelegten Fahrzeugunterlagen nicht als gefälscht erkannte und das Fahrzeug kaufte. Nach Zahlung des Kaufpreises wurden ihr von dem Verkäufer Zulassungspapiere, ein passender sowie ein weiterer – nicht dem Fahrzeug zuzuordnender – Schlüssel übergeben. Die Behörde lehnte eine Zulassung ab, da das Fahrzeug als gestohlen gemeldet war.
Nachdem das Autohaus davon erfahren hatte, verlangte es u.a. die Herausgabe des Fahrzeuges und des Originalschlüssels. Da der Käufer dem nicht nachkommen wollte, erhob es Klage vor dem Landgericht – und unterlag. Das Oberlandesgericht gab der Klage dagegen und verurteilte den Käufer zur Herausgabe. Dieser gab das Fahrzeug jedoch nicht heraus, sondern verfolgte seine Widerklage weiter und verlangte vom Autohaus u.a. die Herausgabe der Original-Zulassungspapiere und des Zweitschlüssels.
Der BGH entschied zu Ungunsten des Autohauses
Laut BGH hatte das Autohaus das Eigentum an dem Fahrzeug verloren. Da das Fahrzeug dem Autohaus nicht abhandengekommen sei, habe der Käufer gutgläubig Eigentum erwerben können.
§ 935 BGB sei nicht einschlägig, da ein Abhandenkommen im Sinne dieser Vorschrift einen unfreiwilligen Besitzverlust voraussetze. Dies sei in dem zu beurteilenden Sachverhalt nicht der Fall gewesen. Insbesondere sie die Übertragung des Besitzes, d.h. hier die Überlassung des Fahrzeugs an den Kriminellen, nicht schon deshalb unfreiwillig erfolgt, weil sie auf einer Täuschung beruhte. Laut BGH führe die Überlassung eines Kraftfahrzeuges durch den Verkäufer zu einer unbegleiteten und auch nicht anderweitig überwachten Probefahrt eines Kaufinteressenten für eine gewisse Dauer auch nicht nur zu einer bloßen Besitzlockerung, sondern zu einem Besitzübergang auf den vermeintlichen Kaufinteressenten.
Der Probefahrer wurde zum Besitzer
Entscheidend war, dass der vermeintliche Interessent während der Probefahrt nicht lediglich Besitzdiener des Verkäufers war. Dies wäre der Fall gewesen, wenn ein soziales oder vergleichbares Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Verkäufer und dem Kaufinteressenten bestanden hätte. Dass der Interessent in Bezug auf das Fahrzeug Weisungen bzw. Vorgaben des Verkäufers unterworfen war, habe daran nichts geändert.
In der Mitteilung der Pressestelle des BGH heißt es dazu wörtlich:
“Denn sie [Anm. d. Red.: die Weisungen] entspringen dem Vertragsanbahnungsverhältnis und damit einem auf die Sache bezogenen Rechtsverhältnis im Sinne des § 868 BGB. Demgegenüber folgt die Weisungsunterworfenheit eines Besitzdieners aus einem über den rechtlichen Bezug zur Sache hinausgehenden Verhältnis zum Besitzherrn. Ein solches Verhältnis besteht zwischen dem Verkäufer eines Fahrzeugs und einem Kaufinteressenten nicht. Daher geht mit der (freiwilligen) Überlassung des Fahrzeugs zur Probefahrt der Besitz auf den vermeintlichen Kaufinteressenten über.
Die nicht erfolgte Rückgabe des Fahrzeugs an die Klägerin stellt somit kein Abhandenkommen im Sinne des § 935 BGB dar, so dass es von einem späteren Käufer gutgläubig erworben werden konnte. Folglich ist die Beklagte, da sie nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts bei dem Erwerb des Kraftfahrzeuges in gutem Glauben war, dessen Eigentümerin geworden und kann von der Klägerin die Herausgabe der Original-Zulassungspapiere verlangen. “
ETL Kanzlei-Voigt Praxistipp
Aus Sicht der Autohäuser ist die Entscheidung nicht zuletzt deshalb unerfreulich, da sie den Verkauf vor Ort weiter verkompliziert, indem sie weitere Hürden zu Lasten der Betriebe errichtet. Wer künftig gegen derartige Vorkommnisse geschützt sein will, sollte sich entweder um einen entsprechend erweiterten Versicherungsschutz bemühen oder keine Fahrzeuge mehr an unbekannte Personen überlassen, damit diese unbegleitete Probefahrten durchführen können.
Da nicht vorherzusehen ist, ob die Rechtsprechung dies auch auf Miet- und Werkstattersatzwagen ausdehnt, ist auch hier künftig gesteigerte Aufmerksamkeit geboten!