Die Wertminderung an sich ist zwar steuerneutral. Seit Jahren streiten wir uns aber mit den Versicherern über die Frage, wie die Wertminderung zu behandeln ist, wenn der Geschädigte jemand ist, der zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.
Die Versicherer, aber auch eine Vielzahl an Gerichten, haben sich in den letzten Jahren auf den Standpunkt gestellt, dass sich beim Vorsteuerabzugsberechtigten, der das verunfallte Fahrzeug verkauft, die Mehrwertsteuer in einer Vermögensbilanz doch bemerkbar macht und daher von vornherein bei der Entschädigung abgezogen werden muss.
Zunächst einmal fasst der BGH mit seinen Entscheidungen vom 16.07.2024 (VI ZR 205/23 und VI ZR 243/23) noch einmal die Grundsätze für die Erstattungsfähigkeit der Wertminderung zusammen.
“Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt es sich beim merkantilen Minderwert um eine Minderung des Verkaufswerts, die trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines bei einem Unfall erheblich beschädigten Kraftfahrzeuges allein deshalb verbleibt, weil bei einem großen Teil des Publikums eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb unfallbeschädigter Kraftfahrzeuge besteht.
Grund ist, dass auch bei instandgesetzten Unfallfahrzeugen verborgene technische Mängel nicht auszuschließen sind und das Risiko höherer Schadensanfälligkeit infolge nicht fachgerechter Reparatur besteht. Damit erzielen Unfallfahrzeuge auf dem Gebrauchtwagenmarkt einen geringeren Preis als unfallfreie. Diese Wertdifferenz stellt einen unmittelbaren Sachschaden dar.”
Dann macht der Bundesgerichtshof deutlich, dass es für die Erstattung nicht darauf ankommt, ob das Fahrzeug tatsächlich verkauft wird oder der Geschädigte es möglicherweise behält.
“Insbesondere kommt es für die Begründung des Anspruchs auf Ersatz des merkantilen Minderwerts nicht darauf an, ob der Geschädigte das Fahrzeug verkauft und sich der Minderwert tatsächlich in einem geringeren Verkaufspreis manifestiert (vgl. Senatsurteil vom 2. Dezember 1966, Az. VI ZR 72/65). Denn wenn sich der Geschädigte entschließt, sein Fahrzeug weiter zu gebrauchen, so begnügt er sich mit der Benutzung eines Fahrzeugs, dessen Wert nach der allgemeinen Verkehrsauffassung geringer ist als der eines unfallfrei gefahrenen Fahrzeugs.”
Aber ist die Wertminderung denn jetzt brutto oder netto zu erstatten? Weder noch, sagt der BGH, denn es kommt darauf gar nicht an – und setzt uns allen damit eine ganz neue Brille auf.
Nach der Ansicht des BGH ist die Wertminderung grundsätzlich nach wie vor steuerneutral.
“Der Ersatz des merkantilen Minderwerts unterliegt nicht der Umsatzsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, weil es sich bei dieser nach dem Gesetz (§ 251 Abs. 1 BGB) zu zahlenden Entschädigung (ebenso wie bei nach § 249 BGB zu zahlendem Schadensersatz) nicht um eine Leistung gegen Entgelt handelt, es also am erforderlichen Austausch gegenseitiger Leistungen fehlt.”
Genau daher sei es “zumindest missverständlich, beim merkantilen Minderwert von einem Brutto- oder Nettominderwert zu sprechen.”
Jetzt kommt der überraschende Teil in Bezug auf die Wertminderung. Es kommt nämlich nach der Entscheidung des BGH überhaupt nicht auf die Wertminderung selbst an, sondern vielmehr auf die Berechnungsgrundlage für die Wertminderung. Also ganz konkret: Wurde die Wertminderung anhand von Netto, oder von Bruttoverkaufspreisen ermittelt?
Richtig ist es nach der Entscheidung des BGH nämlich, die Wertminderung anhand eines Netto-Verkaufspreises zu ermitteln. Da es ja – wie oben beschrieben – rechtlich nicht darauf ankommt, ob das Fahrzeug verkauft wird oder ob nicht, ist die Grundlage für die Schätzung des merkantilen Minderwertes ein hypothetischer Verkauf des Fahrzeugs, und ein solcher hypothetischer Verkauf orientiert sich an den gleichen Spielregeln wie eine fiktive Abrechnung: die Umsatzsteuer fällt bei hypothetischen oder fiktiven Schäden nicht an!
Wurde die steuerneutrale Wertminderung also anhand eines Netto-Verkaufspreises ermittelt, dann ist die ermittelte Wertminderung vom Versicherer in ungekürzter Höhe zu bezahlen. Wurde die Wertminderung aber fälschlicherweise anhand eines Brutto-Verkaufspreises ermittelt, dann ist sowohl beim Vorsteuerabzugsberechtigten, als auch beim Privaten (!!!), von der Wertminderung ein Umsatzsteueranteil in Höhe von 19 % abzuziehen. Anderenfalls käme es nach Auffassung des BGH zu einer Bereicherung des Geschädigten, die nach den schadenrechtlichen Grundsätzen ja nicht vorkommen darf.
Diese Entscheidungen haben für die Praxis erhebliche Bedeutung, und zwar für alle an einem Unfall beteiligte Parteien. Es kommt nicht darauf an, ob der Geschädigte eine Privatperson oder ein Unternehmen ist, für alle geltend die gleichen Spielregeln.
Es wird ab sofort also darauf ankommen, dass die Sachverständigen bereits im Gutachten klarstellen, auf welcher Basis die Wertminderung ermittelt wurde.
Die in Gutachten häufig gelesene Formulierung:
“Alle genannten Beträge verstehen sich inkl. 19 % Umsatzsteuer, soweit sich aus den nachführenden Ausführungen nichts anderes ergibt”, wurde durch das AG Düsseldorf mit Urteil vom 05.08.2019, 39 C 107/09 bereits so interpretiert, dass die Wertminderung anhand des Brutto-Wiederbeschaffungswertes ermittelt wurde.
Damit würde die Wertminderung um 19 % zu reduzieren sein.
Um Abzugsdiskussionen mit den Versicherern, aber auch mit den Leasinggebern aus dem Weg zu gehen, sprechen wir uns deutlich für die Vorgehensweise aus,
a.) die Wertminderung künftig nur noch anhand des Netto-Verkaufspreises zu ermitteln und
b.) diese Berechnungsgrundlage auch im Sachverständigengutachten zu benennen.
(“Der merkantile Minderwert unterliegt nicht der Umsatzsteuer. Er wurde anhand des Netto-Verkaufspreises ermittelt.”)
Wenn diese Grundsätze beherzigt werden sollte das Thema damit grundlegend erledigt sein.
Sollten Sie zu dem Thema noch ergänzende Fragen haben wenden Sie sich gerne an uns.
Herzlichst, Ihr Henning Hamann
Geschäftsführer