OLG Schleswig , Urteil vom 07.07.2025, Az. 7 U 41/25
Bei einem Unfall stellt sich dann die Frage, wie sich die jeweiligen Verstöße auf die Haftungsquote der Beteiligten auswirken.
Als der Geschädigte (Kläger) in der Dämmerung mit seinem Pkw an einer Einmündung nach links abbiegen wollte, kollidierte er mit einem entgegenkommenden Fahrzeug, das ohne eingeschaltete Beleuchtung fuhr. Er erlitt schwere Verletzungen, sein Auto einen Totalschaden.
Der Versicherer des Unfallgegners regulierte zwei Drittel des Schadens und zahlte Schmerzensgeld. Der Kläger vertrat dagegen die Auffassung, ihm stehe mehr zu, da der Unfallgegner die volle Verantwortung für das Geschehen trage.
Das Landgericht Lübeck hatte festgestellt, dass beide Beteiligten zu dem Unfall beigetragen hatten. So habe der Unfallgegner gegen § 17 Abs. 1 StVO verstoßen und der Kläger seine Wartepflicht nach § 1 Abs. 2, § 9 Abs. 3 S. 1 StVO verletzt, da er beim Linksabbiegen das unbeleuchtete Fahrzeug hätte erkennen können.
Ein möglicher Anscheinsbeweis, dass das entgegenkommende Fahrzeug ohne Licht infolge der Dämmerung nicht erkennbar gewesen sei, wurde durch die Aussage eines Zeugen widerlegt. Dieser war ca. 100–150 Meter hinter dem Kläger gefahren und bestätigte, dass das Fahrzeug sichtbar war.
Da die exakten Lichtverhältnisse im Nachhinein (abhängig von Jahreszeit, Wetter, Mondstand, Vegetation oder Beleuchtung anderer Fahrzeuge) ohnehin nicht zuverlässig rekonstruiert werden könnten, hielt das Gericht ein Sachverständigengutachten für entbehrlich.
Damit wollte sich der Kläger jedoch nicht abfinden und legte Berufung gegen das Urteil ein.
Das OLG Schleswig stellte fest, dass einen Geschädigten bei einem Unfall ein Mitverschulden trifft, wenn er bei Dämmerung ein ihm entgegenkommendes, unbeleuchtetes Fahrzeug bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte sehen können.
Da es bei Verkehrsunfällen aber auf die Umstände des Einzelfalls ankomme, erfordere § 17 StVG eine umfassende Abwägung. Bei dieser können – nach ständiger Rechtsprechung (z.B. BGH, Urt. v. 21.11.2006, Az. VI ZR 115/05; v. 27.06.2000, Az. VI ZR 126/99; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.07.2018, Az. 1 U 117/17) nur unstreitige oder nachgewiesene Tatsachen berücksichtigt werden, die sich zudem auf den Unfall beziehen müssen.
Unfallbeteiligte müssen beweisen, welche Umstände der Gegenseite anzulasten sind. Dabei bleiben Vermutungen oder bloße Möglichkeiten unberücksichtigt.
Im vorliegenden Fall stand fest, dass der Beklagte ohne Licht fuhr und der Kläger seine Wartepflicht missachtete. Diese beiden Pflichtverstöße wirkten sich unmittelbar auf den Unfall aus.
Das Oberlandesgericht kam daher zu dem Ergebnis, dass die vom Landgericht festgesetzte Haftungsverteilung (1/3 Kläger, 2/3 Beklagter) nicht zu beanstanden war.
Das Urteil zeigt: Kollisionen mit in der Dämmerung unbeleuchtet fahrenden Fahrzeugen führen nicht automatisch zur Alleinhaftung des Fahrers des unbeleuchteten Fahrzeugs. Entscheidend ist die Abwägung der Verursachungsbeiträge. Wer beim Linksabbiegen ein entgegenkommendes Fahrzeug – selbst wenn dieses ohne Licht fährt – bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte erkennen können, muss sich ein Mitverschulden anrechnen lassen.