Für die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes reicht – nach Auffassung des OLG – die bloß gefühlsmäßige Schätzung eines den Rotlichtverstoß zufällig beobachtenden Polizeibeamten, auch dann wenn er in der Verkehrsüberwachung erfahren ist, nicht aus.
Ein Fahrzeugführer hatte am 02.02.2017 mit seinem PKW an einer Kreuzung in Paderborn das für ihn geltende Rotlicht missachtet und war trotz Rotlicht in den maßgeblichen Kreuzungsbereich eingefahren. Nach den in der mündlichen Verhandlung getroffen Feststellungen des AG dauerte die für den Fahrzeugführer geltende Rotphase bei Überfahren der Haltelinie bereits drei bis fünf Sekunden an. Weiterhin stand nach Überzeugung des Gerichts fest, dass ein aus dem Querverkehr in die Kreuzung einfahrendes Polizeifahrzeug “nur durch ein umsichtiges Ausweichfahrmanöver den Zusammenstoß mit dem Betroffenen und seinem PKW” vermeiden konnte. Aufgrund des festgestellten Verstoßes verurteilte das AG den Fahrer zu einer Geldbuße in Höhe von 320 Euro. Gleichzeitig ordnete es ein Fahrverbot von einem Monat an. Gegen diese Entscheidung legte der verurteilte Fahrer rechtzeitig Rechtsbeschwerde ein, weswegen das zuständige OLG die erstinstanzliche Entscheidung des AG überprüfen musste.
Das zuständige OLG hat der eingelegten Rechtsbeschwerde teilweise stattgegeben. Es stellte bei seiner Überprüfung fest, dass das AG dem verantwortlichen Fahrer zu Recht einen Rotlichtverstoß zur Last gelegt hatte. Weiterhin monierte das OLG, dass das AG im angefochtenen Urteil keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen hat, warum die maßgebliche Rotlichtzeit bei Überfahren der Haltelinie mehr als 1 Sekunde betragen haben soll. Das OLG beanstandete zusätzlich, dass das AG auch zu Unrecht von einer “Gefährdung” anderer Verkehrsteilnehmer infolge des Rotlichtverstoßes im Sinne der gesetzlichen Vorschriften ausgegangen sei. Insoweit stellte es klar, dass das vom AG angeordnete Bußgeld nicht haltbar sei. In der Begründung der Entscheidung des OLG heißt es die Beweiswürdigung des AG sei lückenhaft.
Im Kern seiner Entscheidung stellt das OLG fest, dass das AG insbesondere im Hinblick auf die Dauer der Rotlichtphase von “3-5 Sekunden” keine ausreichenden Feststellungen getroffen hat. Für die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes reicht – nach Auffassung des OLG – die bloß gefühlsmäßige Schätzung eines den Rotlichtverstoß zufällig beobachtenden Polizeibeamten, auch dann wenn er in der Verkehrsüberwachung erfahren ist, nicht aus. Sofern durch Zeugenbeweis – ohne technische Hilfsmittel -ein qualifizierter Rotlichtverstoß bewiesen werden soll, ist eine kritische Würdigung des Beweiswertes der Zeugenaussagen geboten. Die Anforderungen könnten hier nicht niedriger sein, als bei einer gezielten Überwachung einer Kreuzung im Hinblick auf Rotlichtverstöße. Im konkreten Fall hätte kritisch gewürdigt werden müssen, wie die Zeugen zu Ihrer zeitlichen Einschätzung gekommen sind. Das AG habe zwar angegeben, dass sie es “nicht eilig” gehabt hätten.
Andererseits sei aber kaum anzunehmen, dass die Beamten vor der späteren Schrecksituation überhaupt ein Augenmerk darauf gelegt hätten, wie lange es vom Beginn der für die Polizeibeamten geltenden Grünphase bis zum Anfahren des Polizeifahrzeugs dauerte. Dies hatte, nach den vom AG in der mündlichen Verhandlung getroffenen Sachverhaltsfeststellungen, zu diesem Zeitpunkt für die Beamten keinerlei Relevanz. Zudem beanstandete das OLG, dass das AG keine hinreichenden Angaben in seinem Urteil dazu gemacht habe, wie weit der das Rotlicht missachtende Fahrer mit seinem Fahrzeug noch von der Ampel entfernt war, als diese von Gelb auf Rot umschaltete.
Weiterhin hat das OLG beanstandet, dass die für die Verurteilung zu einer Regelgeldbuße in Höhe von 320 Euro notwendige Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht hinreichend festgestellt worden sei. Eine Gefährdung im Sinne der gesetzlichen Vorschriften sei nur dann gegeben, wenn der Täter eine Lage herbeiführt, die auf einen unmittelbar bevorstehenden Unfall hindeutet. Dabei müsse die Sicherheit eines bestimmten Rechtsgutes so stark beeinträchtigt sein, dass es vom Zufall abhängt, ob das Rechtsgut verletzt wird oder nicht. Insoweit habe das AG aber im Hinblick auf das Polizeifahrzeug und die darin befindlichen Polizeibeamten die konkrete Gefährdung gerade nicht ausreichend dargelegt. Sofern es in der Urteilsbegründung von einem ” umsichtigen Ausweichfahrmanöver” spricht bleibt nach Ansicht des OLG offen, ob und inwieweit es zu einer tatsächlich “kritischen Annäherung” gekommen ist.
Das OLG hat daher die angefochtene Entscheidung aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das AG zurückverwiesen.
Praxistipp
Soweit einem Verkehrsteilnehmer ein qualifizierter Rotlichtverstoß anhand von bloßen Zeugenaussagen zur Last gelegt werden soll, sind die Zeugenaussagen im Hinblick auf die festgestellte Dauer des angeblichen Rotlichtverstoßes besonders kritisch zu hinterfragen. Noch kritischer zu hinterfragen sind derartige Aussagen immer dann, wenn Sie von Polizeibeamten stammen, die nicht besonders in der Rotlichtüberwachung geschult sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie im Beobachtungszeitraum gar nicht mit der konkreten Überwachung eines Kreuzungsbereichs im Hinblick auf Rotlichtverstöße betraut waren, sondern Ihre Beobachtungen lediglich “rein zufällig” im fließenden Verkehr getätigt haben.
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