Mit seinem Beschluss vom 30.11.2017 – Az.: 22 U 34/17 äußert sich das Kammergericht (KG) Berlin in der Berufungsinstanz zu der Beweiskraft eines abgegebenen und in das polizeiliche Unfallaufnahmeprotokoll aufgenommenen Geständnisses eines unfallbeteiligten Fahrers und den Auswirkungen auf die anlässlich eines streitigen Unfallhergangs vorzunehmende Beweiswürdigung.
Was war passiert?
Der Auslöser für das zwischen den Parteien anhängige Gerichtsverfahren war ein Verkehrsunfall mit streitigem Unfallhergang, der sich im September 2015 in Berlin ereignet hat. Dabei ist festzuhalten, dass die Unfallstelle sich deutlich versetzt vor einer vor Ort befindlichen Ampelanlage befand. Die Fahrzeughalterin eines der beiden unfallbeteiligten Fahrzeuge begehrte vor dem in erster Instanz zuständigen Landgericht (LG) von Fahrer, Halter und Versicherer des unfallgegnerischen Fahrzeugs die Bruttoreparaturkosten für ihr Fahrzeug, die mittels Sachverständigengutachten ermittelt wurden, sowie den Ersatz der dafür angefallenen Sachverständigenkosten.
Die Halterin behauptete, dass der Fahrer ihres Fahrzeuges bereits seit 10 Sekunden mit einem Abstand von ein bis zwei Fahrzeuglängen vor der Ampel gestanden habe, als der gegnerische Fahrer von hinten aufgefahren sei. Für diesen Unfallhergang hat die Halterin den Führer ihres Fahrzeuges als Zeugen benannt, der – genauso wie der Fahrer des Beklagtenfahrzeuges – in der Beweisaufnahme vor dem Landgericht angehört wurde. Zudem hat sie sich später vor dem Kammergericht darauf berufen, dass der gegnerische Fahrer gegenüber der Polizei bei der Unfallaufnahme einen Verkehrsverstoß
zugegeben habe und dies auch im angefertigten Unfallaufnahmeprotokoll so vermerkt worden sei.
Die Gegenseite hat die Unfallschilderung der Halterin bestritten und ihrerseits vorgetragen, dass sich der Unfall in einem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Wechsel der Fahrspur des beschädigten Fahrzeuges von der rechten in die linke Fahrspur ereignet habe. Damit spräche der Beweis des ersten Anscheins für einen Sorgfaltspflichtverstoß des Fahrers des geschädigten Fahrzeuges.
Dieser Ansicht hat sich auch das Landgericht angeschlossen. Zur Begründung gab es bei seiner Beweiswürdigung u.a. an, die Unfallschilderung des Fahrers des geschädigten Fahrzeuges sei nicht nachvollziehbar. Dieser habe erklärt, er habe bereits 10 Sekunden vor der Ampel gestanden, als das andere Fahrzeug von hinten aufgefahren sei. Das Gericht hielt die Angaben insgesamt für nicht nachvollziehbar, da sich der Unfall unstreitig auf Höhe einer Hausnummer ereignet habe, die sich in einem deutlich weiteren Abstand zu der Ampel befände, als die angegebenen ein bis zwei Fahrzeuglängen.
Außerdem war das Landgericht der Auffassung, dass sich aus einem der vorgelegten Beweisfotos von der Unfallstelle ergäbe, dass der Unfall sich anlässlich eines Fahrstreifenwechsels ereignet habe, da auf dem betreffenden Beweisfoto erkennbar sei, dass das Fahrzeug der Halterin mit dem rechten Hinterreifen noch auf der rechten Fahrspur stand.
Im Ergebnis hat das Gericht, welches die Unfallschilderung der Halterin als unglaubwürdig und daher nicht bewiesen ansah, die Klage in entsprechendem Umfang abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, die Beweiswürdigung des Landgerichts sei fehlerhaft.
Die Entscheidung des Gerichts
Das von der Klägerin angerufene Kammergericht hat der Halterin im Belschusswege angeraten, die Berufung, die es für zulässig, aber unbegründet ansah, zurückzunehmen. Das Gericht legte dar, dass es grundsätzlich an die Beweiswürdigung des LAndgerichts gebunden sei.
Anders wäre dies nur dann, wenn konkrete Anhaltpunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung vorgetragen werden würden. Solche lägen etwa bei einem unrichtigen Beweismaß, Verstößen gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, Widersprüchen zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilgründen oder Mängeln der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie etwa Lückenhaftigkeit oder Widersprüchen vor.
Solche konkreten Anhaltspunkte habe die Halterin aber nicht dargelegt. Auch sei nicht zu beanstanden, dass das Landgericht trotz der von der Polizei aufgenommenen Angaben des gegnerischen Fahrers im polizeilichen Unfallaufnahmeprotokoll letztlich davon ausgegangen sei, dass sich der Unfall in einem räumlich und engen Zusammenhang mit einem Fahrspurwechsel ereignet habe und das Fahrzeug der Halterin nicht bereits 10 Sekunden gestanden habe, als es zum Unfall kam. Dazu führte das Gericht unter anderem folgendes aus:
Soweit die Klägerin sich darauf beruft, dass der Beklagte zu 1) den Verkehrsverstoß gegenüber der Polizei zugegeben habe , so ergibt sich dies tatsächlich aus der entsprechenden OWi-Akte mit der Wirkung des § 418 Abs. 1 ZPO, d.h. eine entsprechende Erklärung des Beklagten zu 1) ist als bewiesen anzunehmen (vgl. dazu OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. März 2004 – 11 LA 380/03 -, juris Rdn. 5; VG Mainz, Urteil vom 20. Januar 2016 – 3 K 509/15.MZ -, juris Rdn. 21). Dass allein die Polizei eine Schuldzuweisung vorgenommen hat, wie das Landgericht zu meinen scheint, lässt das durch ein Ankreuzen festgehaltene Zugeständnis nicht zu. Dies zwingt aber nicht zu der Annahme, jedenfalls die weiteren Angaben des klägerischen Fahrers, er habe sich bereits vollständig in dem linken Fahrstreifen befunden und sein Auto habe gestanden, zutreffend sind. Dass der Beklagte zu 1) einen Verkehrsverstoß zugegeben hat, ist lediglich ein Schuldindiz, das im Rahmen der nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorzunehmenden Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung der weiteren Umstände zu bewerten ist. Ein bestimmter Ablauf des Unfalls ist damit nicht bestätigt
Im weiteren Verlauf legte das Kammergericht dar, warum die Gesamtlage, insbesondere die Unfallspuren an den Fahrzeugen, gegen die Unfallschilderung der Halterin sprächen, weswegen das Gericht im Ergebnis keine konkreten Anhaltpunkte für die Unrichtigkeit der Beweisaufnahme des Landgerichts sah. Dementsprechend empfaht das Kammergericht der Halterin in seinem Beschluss die offensichtlich unbegründete Berufung aus Gründen der eigenen Kostenersparnis zurückzunehmen.
Kanzlei Voigt Praxistipp
Aus der Entscheidung ergibt sich, dass die Einräumung eines Pflichtenverstoßes gegenüber der Polizei und eine entsprechende Aufnahme in das polizeiliche Unfallaufnahmeprotokoll zwar ein Schuldindiz darstellt. Es folgt jedoch weiter aus der Entscheidung, dass dieses Indiz zusammen mit allen anderen Umständen bzw. Beweismitteln und Beweisindizien in einer Gesamtschau zu würdigen ist und allein für sich genommen nicht zwangsläufig dazu geeignet ist, einen ganz bestimmten Unfallhergang zu beweisen.
Die Erfolgsaussichten im Hinblick auf die zivilrechtliche Geltendmachung eigener Schadensersatzansprüche sollten daher immer nur nach Bewertung aller vorhandenen Indizien und Beweismittel eingeschätzt werden und sich nicht allein mit den Angaben der Polizei im Unfallaufnahmeprotokoll beschäftigen. Im Zweifel sollten Sie nach einem Unfall daher fachkundigen Rat einholen, damit Sie keine Ihnen zustehenden Schadensersatzansprüche verschenken
und sich nicht mit etwaig unberechtigten Anspruchskürzungen der gegnerischen Haftpflichtversicherung einverstanden erklären. Das erfahrene Anwaltsteam der ETL Kanzlei Voigt berät Sie gerne kompetent und unverbindlich.