Wer bei einem Verkehrsunfall geschädigt wird, macht den entstandenen Schaden bei Haftpflichtversicherer des anderen Unfallbeteiligten geltend. Dabei wird dem Versicherer eine sogenannte Prüffrist zugesprochen. In dieser Zeit soll der Versicherer überprüfen dürfen, was passiert ist, ob er überhaupt einstandspflichtig ist und in welcher Höhe er einzustehen hat, ohne sofort verklagt zu werden. Doch darf er diese Prüffrist auch nutzen, um bei einem Totalschaden ein höheres Restwertangebot einzuholen? Und muss der Geschädigte auf dieses warten? Fragen, mit denen sich das Oberlandesgericht (OLG) München in seinem Beschluss vom 31.08.2020 (Az. 10 U 2526/20) befassen musste.
Was war passiert?
Bei einem Unfall im März 2019 in Großkarolinenfeld, Oberbayern, wurde ein Fahrzeug beschädigt. Die geschädigte Halterin holte ein Sachverständigengutachten ein und machte den entstandenen Schaden am 28.03.2019 beim Versicherer des anderen Unfallbeteiligten geltend, mit der Bitte entsprechend dem Gutachten bis zum 11.04.2019 zu regulieren.
Das übersandte Gutachten wies einen Wiederbeschaffungswert von 29.900,00 Euro für ein vergleichbares Fahrzeug und einen Restwert von 8.430,00 Euro als Höchstgebot für das Unfallfahrzeug aus. Dabei hatte der Sachverständige drei Angebote in seinem Gutachten ausgewiesen.
Dass der Unfallgegner alleine haftete, war unstreitig. Der Versicherer teilte allerdings am 03.04.2019 mit, dass er das Gutachten überprüfen werde. Er regulierte anschließend insgesamt 10.400,00 Euro, denn dem Versicherer lag ein Restwertangebot vom 08.04.2019 über 19.500 Euro vor, den er in Abzug brachte.
Jedoch hatte die Geschädigte den Unfallwagen zwischenzeitlich am 04.04.2019 bereits für die im Gutachten ausgewiesenen 8.430,00 Euro in Zahlung gegeben, um einen Neuwagen zu kaufen. Sie forderte die Differenz von 11.070,00 Euro vom Versicherer ein.
Der Versicherer verweigerte jedoch eine weitere Zahlung. Seiner Auffassung nach war der höhere Restwert anzusetzen, denn: Dem KfZ-Haftpflichtversicherer sei regelmäßig eine 4-wöchige Prüffrist des Unfallhergangs und des Schadens einzuräumen. Der Versicherung müsse vor der Verwertung eines Unfallfahrzeugs Gelegenheit gegeben werden, ein privat eingeholtes Gutachten zu prüfen.
Ohnehin sei von der Geschädigten eine viel zu kurze Frist gesetzt worden. Auch sei der Versicherung die Art der beabsichtigten Schadensregulierung vorab mitzuteilen
, was nicht erfolgt war. Daher habe die Geschädigte gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen.
Der Geschädigten blieb kein anderer Weg als den Versicherer zu verklagen.
Die Entscheidung des Gerichts
Das Landgericht (LG) Traunstein fand in seinem Urteil vom 23.03.2020 (Az. 6 O 2862/19) klare Worte für den Versicherer: Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls genügt grundsätzlich dem Wirtschaftlichkeitsgebot (
) und seiner Schadensminderungspflicht (
), wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kraftfahrzeugs zu dem Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Der Geschädigte ist weder verpflichtet, über die Einholung des Sachverständigengutachtens hinaus eigene Marktforschung zu betreiben und dabei die Angebote auch räumlich entfernter Interessenten einzuholen, noch ist er gehalten abzuwarten, um dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer vor der Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs Gelegenheit zu geben, zum eingeholten Gutachten Stellung zu nehmen und gegebenenfalls bessere Restwertangebote zu übermitteln (BGH, Urteil vom 25.06.2019, Az. VI ZR 358/18, NJW 2019, 3139 mwN).
Dass der Sachverständige dabei das Angebot einer etwas entfernteren Firma mit aufgenommen hatte, kritisierte der Versicherer. Seiner Ansicht nach handle es sich daher nicht mehr um regionale, sondern um überregionale Angebote. Doch auch hier hatte das Landgericht nichts zu bemängeln. Ein Geschädigter ist danach grundsätzlich nur verpflichtet, in dem ihm entsprechend bekannten und zugänglichen lokalen Markt nach Angeboten zu suchen (bzw. suchen zu lassen). Er ist aber nicht etwa verpflichtet, z.B. im Internet nach mitunter weit entfernten Aufkäufern zu suchen oder über Restwertbörsen weitere Angebote einzuholen. Tut er dies (überobligatorisch) gleichwohl, greift er also zur Bestimmung des noch erzielbaren Kaufpreises auf weiter entfernte Interessenten zu, gereicht ihm dies jedenfalls nicht zum Nachteil.
Zwar stehe dem Versicherer eine Prüffrist
von wenigstens vier Wochen zu. Hierbei geht es jedoch nicht darum, der Beklagten aus Gründen der Schadensminderung eine Frist einzuräumen, um höhere Restwertangebote vorlegen zu können. Dies würde das Recht des Geschädigten unterlaufen, selbst Herr des Restitutionsgeschehens zu sein
. Das ist auch der Grund, weshalb der Einwand des Versicherers, nicht über die Art der beabsichtigten Schadensbeseitigung informiert worden zu sein, verworfen wurde. Eine wie auch immer geartete sanktionbewehrte Verpflichtung des Geschädigten, den Schädiger in die Regulierung einzubeziehen, geschweige denn dessen Wünschen nachkommen zu müssen würde dieses Recht unterlaufen.
Das LG Traunstein gab der Geschädigten daher Recht. Der Versicherer ging in Berufung.
Die Entscheidung des OLG
Das OLG München wies die Berufung des Versicherers mit deutlichen Worten zurück. Die der Beklagten zustehende Prüffrist bezweckt, dieser die Prüfung ihrer Einstandspflicht nach Grund und Höhe zu ermöglichen, ohne in Verzug zu geraten. Sie dient, wie im Hinweisbeschluss ausgeführt, nicht dazu, der Versicherung die erforderliche Zeit zu verschaffen, um ein höheres Restwertangebot einzuholen und eine zu kurze oder sonst unwirksame Fristsetzung hindert den Geschädigten als Herrn des Restitutionsverfahrens ebenso wenig wie die Mitteilung der Beklagten, sie werde das Gutachten überprüfen, daran, umgehend einen Reparaturauftrag zu erteilen oder eine Ersatzbeschaffung vorzunehmen.
Auch mit dem Einwand des vermeintlich überregionalen Angebots setzten sich die Richter auseinander. Die vom Sachverständigen angefragten Firmen sind angesichts ihrer Lage wie im Hinweisbeschluss ausgeführt noch dem regionalen, dem Geschädigten zugänglichen Markt zuzuordnen, mag auch die Fahrstrecke vom Wohnort der Geschädigten 140 km betragen. Hingegen befindet sich der von der Beklagten genannte Aufkäufer zwischen Düsseldorf und Wuppertal
und damit knapp 700 Kilometer von Geschädigten entfernt. Damit widersprach sich der Versicherer selbst.
Kanzlei Voigt Praxistipp
Dass Versicherer versuchen den zu regulierenden Schadensersatz möglichst gering zu halten, ist hinlänglich bekannt. Neben Prüfberichten zu Reparaturkosten gehören auch höhere Restwertangebote – vorzugsweise über spezielle Restwertbörsen im Internet – im Totalschadensfall zu den Mitteln der Wahl. Doch wie diese Entscheidung zeigt, ist nicht jedes Restwertangebot hinzunehmen, ohne es zu hinterfragen.
Unter bestimmten Umständen ist ein höheres Restwertangebot des Versicherers unbeachtlich. Ob diese vorliegen, hängt auch vom Zeitablauf ab. Daher ist es erforderlich einen erfahrenen Rechtsbeistand frühzeitig in die Schadensregulierung einzubeziehen. Die auf Verkehrsunfallregulierung spezialisierten Rechtsanwälte der ETL Kanzlei Voigt helfen Ihnen gerne weiter.