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(K)ein Arbeitsunfall an roter Ampel?

Der morgendliche Weg zur Arbeit kann – vor allem zu Stoßzeiten – sehr stressig sein. In der Regel ist er jedenfalls für den Fall eines Wegeunfalls von der gesetzlichen Unfallversicherung abgedeckt. Den selben Schutz genießen auch Fahrten im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit – sogenannte Betriebswege. Doch keine Regel ohne Ausnahme: Unterbrechungen beispielsweise zum Tanken oder […]
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18.01.2021
ca. 4 Minuten
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Der morgendliche Weg zur Arbeit kann – vor allem zu Stoßzeiten – sehr stressig sein. In der Regel ist er jedenfalls für den Fall eines Wegeunfalls von der gesetzlichen Unfallversicherung abgedeckt. Den selben Schutz genießen auch Fahrten im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit – sogenannte Betriebswege. Doch keine Regel ohne Ausnahme: Unterbrechungen beispielsweise zum Tanken oder Einkaufen sind nicht versichert. Doch was, wenn ein Verkehrsrowdy an der roten Ampel zur Rede gestellt wird? Ob dabei für Verletzungen Versicherungsschutz besteht, hatte das Bayerische Landessozialgericht (LSG) in seinem Urteil vom 24.09.2020 (Az. L 17 U 370/17) zu entscheiden.

Was war passiert?

Ein selbständiger Transportunternehmer war auf dem Weg zu einem Kunden, als ein anderer Verkehrsteilnehmer mehrfach die Spur vor ihm wechselte, scheinbar ohne sich um den nachfolgenden Verkehr zu kümmern. Bei einem dieser Fahrstreifenwechsel wäre er beinahe mit dem Transporter des Unternehmers kollidiert.

An einer roten Ampel, an der beide Fahrzeuge standen, stieg der Unternehmer aus, um den anderen Autofahrer zur Rede zu stellen. Als der Unternehmer wieder in den Transporter gestiegen war, rief ihm der PKW-Fahrer Beleidigungen zu, so dass der Unternehmer erneut ausstieg. Nach einem hitzigen Wortaustausch stach der Verkehrsrowdy dem Unternehmer in den Bauch. Bei der Verteidigung gegen schlimmere Verletzung wurden Sehnen und ein Nerv des linken Unterarms durchtrennt. Erst nach knapp drei Monaten war der Unternehmer wieder arbeitsfähig.

Als die Berufsgenossenschaft die Unfallanzeige erhielt, untersuchte sie den Vorfall. Mit Bescheid vom 27.12.2016 lehnte sie die Ansprüche des Unternehmers jedoch ab. Ihrer Auffassung nach lag kein Versicherungsfall vor. Der Unternehmer habe zum entscheidenden Zeitpunkt den anderen Autofahrer zur Rede stellen wollen. Das allerdings unterfalle rechtlich wesentlich dem unversicherten privaten Lebensbereich. Auch der Widerspruch des Unternehmers, der Vorfall sei auf die im Rahmen des Transportgewerbes erfolgte Teilnahme am Straßenverkehr zurückzuführen, blieb mit Widerspruchsbescheid vom 22.03.2017 ohne Erfolg. Die Berufsgenossenschaft sah vor allem in dem zweimaligen Aussteigen aus dem Transporter keine lediglich geringfügige Unterbrechung, während der Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 1 SGB VII fortbestehe.

Daher klagte der Unternehmer gegen die Entscheidung der Berufsgenossenschaft. Zunächst mit Erfolg: Das Sozialgericht (SG) Würzburg kam in seinem Urteil vom 24.10.2017 (Az. S 5 U 100/17) zu dem Schluss, dass es sich um einen versicherten Arbeitsunfall handle. Maßgeblich sei, ob zwischen dem schädigenden Ereignis und der versicherten Tätigkeit ein ursächlicher Zusammenhang bestehe, konkreter ob die Streitigkeit ihren unmittelbaren Ursprung in den mit der Zurücklegung des Weges zusammenhängenden Umständen gehabt und behalten habe. Dies bejahte das Gericht. Dagegen ging die Berufsgenossenschaft in Berufung.

Die Entscheidung des Gerichts

Die Berufsgenossenschaft ergänzte ihr bisheriges Vorbringen insoweit, als dass der Unternehmer zunächst – soweit er sich mit seinem Fahrzeug auf einer Transportfahrt befunden habe – grundsätzlich eine versicherte Tätigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII verrichtet habe. Jedoch habe er diese versicherte Tätigkeit unterbrochen, als er an einer Ampel angehalten und sein Fahrzeug verlassen habe, um den beteiligten Pkw-Fahrer zur Rede zu stellen. Durch das Aussteigen habe er nämlich deutlich gemacht, dass sein Wille nicht mehr auf das Fortsetzen der Fahrt gerichtet war – auch wenn er sich immer noch auf der eigentlich aufgrund der Betriebsfahrt zu nutzenden Straße befunden habe.

Der Unternehmer dagegen war der Auffassung, dass die Fahrt – für ihn als selbständigen Transportunternehmer – gerade die versicherte Tätigkeit selbst darstelle und er sich an seinem Arbeitsplatz befunden habe. Danach komme es ausschließlich darauf an, ob die Streitigkeit aus Gründen entstanden sei, die mit der Arbeit zusammenhingen. Für den Fall, dass ein Betriebsweg anzunehmen sei, sei dieser jedoch – entsprechend der Würdigung des Sozialgerichts – versichert.

Das Landessozialgericht stellte klar, dass für die Annahme eines Versicherungsfalles vorausgesetzt wird, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem (…) Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheits(erst)schaden (…) des Versicherten verursacht hat. Anfänglich befand sich der Unternehmer auf einem versicherten Betriebsweg.

Allerdings kam es zu dem Schluss, dass zum Zeitpunkt der Verletzungen kein Versicherungsschutz bestand: Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalls (Messerattacke) das Zurücklegen des Betriebsweges bereits aus eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen und nicht wiederaufgenommen hatte (1.) und die Unterbrechung auch nicht nur geringfügig war (2.), sodass der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit und damit der Versicherungsschutz entfällt.

Das Gericht war zu der Überzeugung gelangt, bereits das Verlassen des Fahrzeugs diente nach seiner objektivierten Handlungstendenz nicht der weiteren Zurücklegung des versicherten Betriebsweges, sondern es ging dem Kläger (…) darum, [den PKW-Fahrer] wegen dessen verkehrswidrigen und rücksichtslosen Verkehrsverhaltens zurechtzuweisen. Dies sei jedoch nicht betriebsdienlich und somit dem privaten Lebensbereich zuzuordnen. Ein Anspruch gegen die Berufsgenossenschaft sei daher nicht gegeben. Das Urteil des Sozialgerichts wurde in der Folge aufgehoben.

Kanzlei Voigt Praxistipp

So ärgerlich das Fahrverhalten anderer Verkehrsteilnehmer auch sein mag, sollte eine Zurechtweisung wohl überlegt sein. Nicht selten wird die Diskussion sehr hitzig und gelegentlich werden mehr als nur Beleidigungen ausgetauscht. Neben der Frage nach der Haftung und Strafbarkeit möglicher weiterer Folgen ist – beim Weg zur Arbeit oder zurück sowie beim Betriebsweg – oftmals kein Versicherungsschutz durch die gesetzliche Unfallversicherung gegeben.

In welchen Fällen dennoch ein Versicherungsfall vorliegen kann, hängt vom Einzelfall ab. Ein erfahrener Rechtsbeistand kann bei der Einordnung helfen. Die erfahrenen Rechtsanwälte der ETL Kanzlei Voigt stehen Ihnen gerne zur Seite.

Bildnachweis: Gerhard/Pixabay  

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